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Michail Prochorow auf einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche.

Foto: REUTERS/Denis Sinyakov

Standard: Ist Ihr Austritt aus Prawoje Delo (Rechte Sache) der Beginn oder das Ende Ihrer politischen Karriere?

Prochorow: Ich habe für zehn Tage ein Timeout genommen, in denen ich darüber nachdenken werde, wie es weitergeht.

Standard: Als Sie in die Partei eingetreten sind, hätten Sie doch wissen müssen, dass das eine Marionettenpartei ist.

Prochorow: Gut möglich, dass ich Illusionen hatte. Ich habe mein ganzes Leben Entscheidungen selbstständig getroffen. Mein persönlicher Wunsch war es, politisch tätig zu sein. Ich hab mich mit Parteimitgliedern und Präsident Medwedew beraten, und ich hatte wirklich den Eindruck, dass ich das so machen kann, wie ich denke, dass es nötig ist. Jetzt verstehe ich, dass ich keinen persönlichen Konflikt mit jemanden habe, sondern dass es um den Konflikt zweier Ideologien geht: den Richtungsstreit zwischen Konservativen gegen Modernisierern.

Standard: Sind das zufällig die beiden Flügel des Führungstandems aus Premier Putin und Präsident Medwedew?

Prochorow: Das würde ich so nicht sagen. Der Präsident und der Premier haben immer einstimmig erklärt, dass sie aus ein und derselben Mannschaft sind.

Standard: Wer steht dann hinter diesen beiden Gruppen?

Prochorow: Nun, das ist eine große Gruppe von Leuten. Da sind die einen, die für Reformen sind, und die anderen, die sich davor fürchten. In anderen Ländern passiert dasselbe im Rahmen des Kampfes zwischen politischen Parteien. Bei uns findet dieser Kampf nicht nur zwischen den Parteien statt, sondern auch innerhalb der Parteien.

Standard: Sie haben nun verstanden, wie die Politik in Russland funktioniert. Ist das denn eine Demokratie?

Prochorow: In unserem Manifest steht, dass die Demokratie eine komplizierte Arbeit ist. Wir sind ein junges Land, und deshalb weist unser System bestimmte Besonderheiten auf. Das heißt aber nicht, dass wir auf irgendeine andere Seite gehen. Ich bin für demokratische Veränderungen und die Beschleunigung der Entwicklung. Wir haben momentan die einzigartige Chance, dass Russland einen würdigen Platz in einer neuen Weltordnung erhält.

Standard: Die russische Demokratie wirkt oft wie eine Imitation. Welche Rolle haben Sie darin gespielt?

Prochorow: Ich wollte in keiner Imitation eine Rolle spielen. Ich habe in die Partei Leute eingeladen, die erfolgreich und unabhängig sind. Als man begonnen hat, mir vorzuschreiben, wen man aufnehmen soll und wen nicht, musste ich eine Entscheidung treffen. Viele haben in mir ein Kreml-Projekt gesehen. Ich habe die Wahl getroffen, dass ich eigenständig weitermachen will.

Standard: Russland hat ein großes Potenzial. Aber in der vergangenen Dekade ist es nicht gelungen, dieses Potenzial zu realisieren. Geht das überhaupt mit der heutigen Führung?

Prochorow: Wenn sie sich nicht ändert, wird sich Russland auch nicht ändern. Ich bin nur kategorisch gegen eine Revolution. Ich bin dafür, dass wir mit der Änderung des Systems von innen beginnen. Das war unser Programm.

Standard: Sie kritisieren zwar den Verfall des Landes, etwa in der Gesundheitsversorgung, Bildung und Industrie, aber all das hat sich während der vergangenen zehn Jahre verschlechtert. Warum kritisieren Sie nie Putin?

Prochorow: Bei uns gibt es viele Menschen, die ihre ganze Kraft für Kritik verschwenden. Ich bin für den Weg der Verhandlung.

Standard: Aber Sie haben gestern mit sehr scharfen Worten den Kreml-Chefideologen Wladislaw Surkow kritisiert. Sie sagten, Sie wollen ihn absetzen. Wie wollen Sie das denn erreichen?

Prochorow: Das eine ist die öffentliche Diskussion, das andere der Kampf zwischen den Ideologien. Ich wollte die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass es diese scharfe Diskussion gibt. Es geht um das Schicksal des Landes, nicht um Surkow oder Prochorow.

Standard: Gab es denn auch Druck auf Ihre Unternehmen?

Prochorow: Nein, alle arbeiten ruhig.

Standard: Und die Razzia in Ihrer Bank?

Prochorow: Das hat damit absolut nichts zu tun. Es gab ein Problem mit Schmiergeld, das über ein Konto bei der MFK-Bank floss.

Standard: Sie haben 2008 die Krise vorhergesehen und rechtzeitig Ihre Anteile bei Norilsk Nickel verkauft. Wie schätzen Sie die heutige Situation ein?

Prochorow: Die Krise hat ja nie aufgehört. Es geht nicht nur um eine Wirtschaftskrise, sondern um eine Systemkrise. Das System des Gleichgewichts in der Welt ändert sich. Deshalb wird es auch ein neues Modell der Führung geben. (Das Gespräch führte Verena Diethelm. STANDARD-Printausgabe, 19.9.2011)